61MinutenSex erzählten uns im Interview, wie man ihr altersgerecht begegnen kann
Das Aufklärungsgespräch mit den eigenen Kindern. Eine Angelegenheit, bei der nicht nur die Jugendlichen, sondern auch die Eltern häufig Scham empfinden. Jan Winter und Gianna Chanel unterstützen Eltern bei dieser Aufgabe, indem sie Videos zum Thema auf Youtube hochladen. Foto: Daniel Mattheus
Hinter 61MinutenSex verbergen sich Jan Winter und Gianna Chanel. Seit einigen Jahren betreiben die beiden einen Youtube-Kanal zum Thema Aufklärung. Mit uns sprechen sie über ihre Arbeit, ihren Erfolg, sowie Vor- und Nachteile der Selbstaufklärung über das Internet.
Hi, wir sind hier bei Gianna und Jan von 61MinutenSex. Wir wollen mit den beiden heute über das Thema "Aufklärung" sprechen.
Bevor wir anfangen,
für die Leute, die euch noch nicht kennen, stellt doch euch und euer Projekt kurz vor!
Gianna: Wir zwei betreiben einen YouTube-Kanal zusammen seit 3 Jahren und Jan sogar seit 4 Jahren. Wir machen dort Aufklärung für Jugendliche und Erwachsene.
Das Video zum Interview
Wie seid ihr eigentlich auf den Namen 61MinutenSex gekommen?
Jan: Als ich damals angefangen habe, war der Grundgedanke: Man braucht ein Buch für Jugendliche, dass sie lesen können, damit sie wissen wie das geht. Und ein 61 klingt so wie ein Versprechen. Ein Bisschen mehr. Es ist nicht 69, was sich selbst erklären würde. Das Zu-Früh-Kommen ist eines der großen Themen, gerade in der Jugend. Mittlerweile ist ganz viel anderes noch dazu gekommen. Es sollte neugierig machen, dass man zumindest den Klappentext liest und danach das Buch liest und kauft.
Saht ihr im
Bereich der Aufklärung Handlungsbedarf, weil ihr Jugendliche per YouTube aufklärt?
Jan: Am Anfang war da der Gedanke: Es gibt so viel Pornographie, aber kaum gute Informationen. Pornographie ist überall zugänglich, heutzutage auch für Kinder auf dem Schulhof über das Handy mit Smartphones. Es fing damals an und ich dachte mir - da muss irgendwie etwas her! Dann habe ich angefangen und irgendwann waren wir dann zu zweit.
Eure Videos erreichen beachtliche Klickzahlen im sieben-, sogar achtstelligen Bereich. Habt ihr mit dem Erfolg gerechnet oder war das für euch eine Überraschung?
Gianna: Also ich glaube, anfangs haben wir noch nicht so ganz damit gerechnet, dass wirklich so viele Zuschauer die Videos klicken. Aber ich denke, dass der Bedarf da ist. Das sieht man einfach daran und es zeigt uns, dass wir das Richtige machen.
Eure Themen, also die
Vorschläge für die Themen, die ihr in den Videos behandelt, stammen hauptsächlich von Usern. Woher nehmt ihr die Infos? Recherchiert ihr oder stammt vieles aus eigener
Erfahrung?
Jan: Zum einen bin ich mittlerweile ausgebildeter Sexualpädagoge - Gianna macht auch gerade die Ausbildung. Das ist eine Sache, den fachlichen Hintergrund zu haben. Dann habe ich im Laufe der Zeit ganz viele Bücher zum Thema gelesen und vieles ist auch online. Wissenschaftliche Studien sind oft zugänglich, zwar nur auf Englisch, aber das ist auch kein Problem. Wenn man sich da mal eingearbeitet hat, dann kommt noch ein bisschen Erfahrung dazu. Außerdem viele Gespräche, die man so im Alltag führt und das Gesamtbild, das bildet die Grundlage für das, was wir erzählen.
Gibt es irgendwelche Themen von denen ihr die Finger lasst oder seid ihr für alles offen?
Gianna: Also generell sind wir offen für alle Themen, die kommen. Denn die Themen bestimmen nicht wir, sondern unsere Zuschauer. Und wir sagen bei keinem Thema "Nein, das bearbeiten wir nicht!". Denn es ist auch unabhängig davon, ob es uns gefällt. Es soll ja den Zuschauern gefallen und auf sie zugeschnitten sein. Von daher, ja, wir beantworten jede Frage!
Kommen wir zum Thema "Kritik". Denn es gibt nicht nur Zustimmung unter den Videokommentaren, sondern auch Kritik. Hier ein Beispiel "Wenn man solche Videos hochlädt ist es ja kein Wunder, dass heutzutage bereits 13 Jährige, 14 Jährige schon so etwas machen und dann halt weiter gehen, dann Schwanger werden bevor die überhaupt eine Ausbildung bekommen! […] Das Video kann jeder sehen, auch 8 Jährige, müsste mit FSK geschützt werden" Wie ernst nehmt ihr solche Kritik?
Jan: Ich kenne solche Kommentare natürlich. Da muss man sich erst einmal fragen, wenn ein Jugendlicher - oder in diesem Fall ein Kind - alleine am PC sitzt und ein Video zum Thema "Sex" sieht, dann heißt das, dass der PC oder das Handy, das es benutzt, keinen Jugendschutzfilter hat. Denn sonst würde das auf jeden Fall gesperrt werden. So ist das in Jugendzentren oder ähnlichem, da sind diese Videos generell alle gesperrt, auch wenn es unserer Ansicht nach nicht unbedingt sinnvoll ist. Aber! Das heißt, ein Jugendlicher, der Zugang zu Pornographie hat, sollte auch Zugang zu Informationen zum Thema haben. Und bei uns ist es so, dass wir informieren und nicht auffordern "Los! Geht raus und habt Sex und das schon mit 8!" Es ist bei uns so, dass wir sagen, wie Sachen funktionieren, d.h. sie verstehen dann wie etwas funktioniert. Nur weil ein Kind mal mit einem Auto mitgefahren ist, heißt es nicht, dass es sich hinter das Steuer setzt und fährt. Die Grenze zu setzen ist weder unsere Aufgabe noch Verantwortung. Sondern da sind die Erziehungsberechtigten gefragt, welche das auch immer sein mögen, ob jetzt zu Hause oder in der Schule oder bei der freien Jugendarbeit. Die sind in der Verantwortung, dafür zu sorgen, dass dieser Zugang nur soweit gewährt wird wie nötig. Statt Pornographie gibt es bei uns Information.
Setzen sich auch Eltern mit euch persönlich in Verbindung oder sind es lediglich Jugendliche?
Gianna: Es gibt durchaus Eltern, die sich an uns richten. Aber in der Regel, soweit ich weiß, eher im positiven Sinne. Sie machen uns Komplimente, dass wir die Kinder oder Jugendlichen mit aufklären.
Jan: Es gibt vor allem im Bereich der Lust immer wieder Fragen, die die Eltern mit ihren Kindern gar nicht besprechen wollen. Also wie macht man etwas richtig, sodass auch jemand Spaß daran hat? Verhütungs- und Gefahrenpräventionsthemen sind für die Eltern oft noch einfacher mit den Kindern zu besprechen. Aber viele haben Hemmungen, auch darüber, was dabei schön ist, zu sprechen. Denn wir haben ja nicht nur Sex zur Fortpflanzung - also die meisten von uns. Vielen fällt es oft schwer darüber zu reden. Also begrüßen sie es, wenn wir diese Hemmschwelle ein bisschen herabsetzen. Dadurch, dass das, was sie interessiert, anonym und anklickbar ist. Sie klicken ja auch nur das an, was sie wirklich sehen und wissen wollen. Und das geben wir ihnen dann.
Welches Mindestalter haltet ihr für die Aufklärung von Kindern geeignet?
Gianna: Ich glaube, von einem Mindestalter kann man einfach nicht sprechen. Denn die Kinder kommen ab einem gewissen Alter zu den Eltern, wollen etwas Bestimmtes wissen oder haben Fragen. Das ist dann im Grunde genommen das richtige Alter. Man kann also gar nicht sagen "ab 12 oder 14 oder wann auch immer sollte das Ganze stattfinden", sondern man sollte wirklich versuchen, die Kinder dann abzuholen, wann es für sie passt.
Jan: Sexualaufklärung verbinden wir naturgemäß oft mit dem, was wir in der Schule gezeigt bekommen haben: a) da fängt das an. b) so funktioniert das biologisch. Aber es fängt schon viel früher an. Das heißt, Sexualität und der Umgang damit findet schon im Kindesalter statt. Ein Kind, das sich an seiner Puppe reibt. Manche Eltern reißen dem Kind die Puppe weg und sagen "Mach das nicht! Das ist unanständig, dass du dich daran reibst!" Das Kind empfindet aber schon Lust dabei. Wenn es direkt von den Eltern mit diesem Tabu, das sie vielleicht im Kopf haben, belegt wird, kann das die Entwicklung stören. […] Diese Sachen müssen dem Kind gut vermittelt werden! Das fängt sehr früh an. Im Kindergarten, das finde ich ist das passendste Beispiel, z.B. die Regeln in den Kuschelecken. In vielen Kindergärten gibt es das mittlerweile. Da können sie sich zurückziehen und für sich ihre "Doktorspiele" machen. Dann gibt es Menschen, die sagen "Nein, du darfst dir keinen Stift in den Po stecken!". Das wäre eine Möglichkeit. Eine sexualpädagogisch gute Möglichkeit wäre zu sagen "keine Gegenstände in Körperöffnungen zu stecken". Somit legt man dem Kind kein Tabu auf. Es macht keinen Sinn so ein Tabu aufzustellen. Denn wenn du dir einen Stift in die Nase oder ins Ohr usw. steckst, kannst du dich auch verletzen. Da fängt Sexualpädagogik schon an. Wir haben oft das Bild, dass es erst in der Schule beginnt, und dass Sex immer nur Geschlechtsverkehr ist. Das fängt aber viel früher an. Und das müssen wir in unseren Köpfen verankern!
Also sollte man das
Kind schon dann anfangen aufzuklären, sobald es beginnt, sich mit seinem Körper zu beschäftigen?
Jan: Aufklärung ist immer so ein hartes Wort. Altersgerecht auf die Fragen eingehen ist eigentlich das Passende. Und das fängt eben mit diesen Körperöffnungen, mit dem Erkunden an. Das ist nicht immer Sex mit Penetration und Kinder kriegen und Oralverkehr. Nein, es ist Neugier und der kann man begegnen. Angemessen. Altersgerecht.
Seht ihr eine
Gefährdung darin, dass sich Kinder bzw. Jugendliche selbst nur durch das Internet, ohne dass Erziehungsberechtigte, Erwachsene sie an die Hand nehmen, aufklären?
Gianna: Solange die Aufklärung nur in Form von Pornographie stattfindet, sehe ich schon eine gewisse Gefahr, dass den Kindern oder Jugendlichen ein falsches Bild von Sexualität vermittelt wird. Da werden Frauen und Männer gezeigt, die im Grunde unnatürlich sind, so wie wir sie jetzt hier in unserer Umgebung nicht finden. Das vermittelt in dem Falle dann ein falsches Bild und sorgt dafür, dass die Kinder oder Jugendlichen glauben, auch so aussehen zu müssen oder sich so verhalten zu müssen. Das ist in dem Fall unrealistisch. Es muss also gefiltert werden, dass die Jugendlichen vernünftig damit umgehen können.
Jan: Man muss sich auch vor Augen halten, dass Jugendliche, die sich nur Online aufklären, meistens ein gestörtes soziales
Umfeld haben. Das heißt, bei einem guten sozialen Umfeld ist es natürlich besser, wenn die Aufklärung aus dem Familiären, dem Freundeskreis, dem sozialen pädagogischen Umfeld kommt, wo eine
direkte Bezugsperson da ist. Bei fast allen Themen, bei denen sich derjenige selbst nicht öffnen kann, ist es vielleicht ok, wenn man das mal online macht. Das Meiste sollte eigentlich im
normalen sozialen Umfeld stattfinden. Tut es aber nicht. Sonst wären bei uns die Klickzahlen nicht so hoch. Wenn die Eltern ihre Aufklärungsarbeit in allen Bereichen gut machen würden, kein
Problem mit ihren eigenen Tabus, mit den Tabus der Gesellschaft hätten, damit umgehen könnten und dazu ausgebildet wären, dann wäre das super, wenn die das machen würden. Hey, ist aber leider
nicht so!
Könnt ihr euch erklären, wieso so viele Erwachsene und Eltern eine derart hohe Hemmschwelle haben, mit den Kindern über die eigene Sexualität, Sexualität generell zu sprechen?
Gianna: Kann ich mir auf jeden Fall vorstellen. Vieles ist bei Eltern mit Scham belegt und ich glaube, da spielt ein bisschen die Angst mit, dass man zu viel von der eigenen Sexualität preisgibt und dass man das eventuell nicht will. Vielleicht auch so ein bisschen die Angst, dass das Kind zu früh mit der Sexualität anfangen könnte. Ich glaube, dass da ganz viel auch unterbewusst passiert. Was man im Grunde im ersten Moment gar nicht in Worte fassen kann. Aber das ist, denke ich, eine große Hemmschwelle.
Wann wurdet ihr persönlich eigentlich aufgeklärt?
Gianna: Die Aufklärung kann man nicht, bei mir zumindest, nach einem Alter beziffern. Weil sich die Aufklärung dann in einer Phase vollzogen hat. Aber angefangen, würde ich mal sagen, hat sie im Grundschulalter, als wir auch schon Sexualunterricht in der Schule hatten. Da ging das vielleicht, bei sieben, acht Jahren los.
Jan: Wenn ich das so sehe, wie ich das eben beschrieben habe, dass im Kindergarten schon Körperaufklärung stattfindet, die ersten Bücher angeschaut werden, wo man dann die Geschlechtsteile benennt - da hat es eigentlich schon angefangen. Mit der Kuschelecke im Kindergarten und den entsprechenden Fragen dann zu Hause und den Antworten dazu. Und dann die ersten Bücher zu dem Thema, mit denen man sich erst einmal zurückgezogen hat, die Bücher angeguckt hat und das dann doch irgendwie komisch fand. Und dann doch aber irgendwo in Kontakt mit den Eltern gegangen ist und Fragen stellen konnte. Da fing es an. Und dann ging es natürlich in der Schule mit verschiedenen Themen los. Aber da ist auch die Frage, wie gut man Zugang zum Lehrer, zur Klassengemeinschaft hat, wie man sich da öffnen kann. Meist beschränkte sich das dann in der Schule auch eher auf Körperfragen und irgendwelche Tests, die dann noch geschrieben wurden. Was ich heutzutage sehr in Frage stelle.
Noch eine Frage zum Abschluss! Seht ihr in euren Videos ein neues Aufklärungskonzept für die Zukunft?
Gianna: Ja, auf jeden Fall. Das ist eine ganz einfache Informationsbeschaffung, die wir da mittlerweile haben. Man gibt bei YouTube Suchbegriffe ein und bekommt direkt das passende Video dazu. Von daher ist es auf jeden Fall zukunftsorientiert und wird bestimmt bestehen bleiben. Und wir werden auf jeden Fall weiter machen.
Jan: Und die
Interaktivität ist auch gegeben, d.h. wir können direkt interagieren, wir merken, die Zuschauer haben vielleicht noch eine Zusatzfrage. Die können wir dann direkt noch klären, in den Kommentaren,
in die Infobox schreiben. Das ist eine Möglichkeit, die es früher nicht gab und warum sie nicht nutzen und gucken, was man noch daraus machen kann?
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